FETALE / NEONATALE ALLOIMMUNTHROMBOZYTOPENIE

Krankheitsbild, Pathophysiologie und Prävalenz

Die fetale und neonatale Alloimmunthrombozytopenie ist das thrombozytäre Gegenstück zum MHN (Morbus haemolyticus neonatorum). Während der Schwangerschaft kommt es regelmäßig zu kleinen Einblutungen im Bereich der Plazenta, wodurch auch Thrombozyten des Kindes in den Kreislauf der Mutter übertreten. Auch hier kommt es zur Immunisierung der Mutter durch fetale Antigene - diesmal auf den Thrombozyten - welche das Kind vom Vater geerbt hat. Die dabei entstehenden Antikörper binden an die kindlichen Thrombozyten und führen zum vermehrten und frühzeitigem Abbau. Was noch erschwerend hinzu kommt ist, dass auch auf den Vorläuferzellen der Thrombozyten, den Megakaryozyten ebenfalls HP-Antigene exprimiert werden und die Bindung der Antikörper die Produktion der Thrombozyten stört. Das alles führt beim Fetus oder beim Neugeborenen zu einer Thrombozytopenie (Thrombozytenzahlen < 100000/µl).

Im Gegensatz zu MNH ist meist schon das erste Kind / erste Schwangerschaft betroffen. Es ist eine seltene Komplikation - sie betrifft 1 in 1000 Schwangerschaften. Das am häufigsten betroffene Antigen ist das HPA-1a (human platelet antigen). Die Antikörper gegen das HPA-1a führen am häufigsten zu schweren Thrombozytopenien (< 50000/µl).

Ca. 2% der Kaukasier sind homozygot für HPA-1b und haben daher kein HPA-1a auf ihren Thrombozyten. Hat eine HPA-1a negative Frau einen Partner, der HPA-1a positiv ist, kann dieses Antigen an das Kind vererbt werden. Ist der Kindsvater heterozygot bei HPA-1 (HPA-1a/1b), werden 50% der Kinder dieses Paares HPA-1a positiv sein. Bei einem homozygoten Vater (HPA-1a/1a) sind es alle Kinder, die betroffen sein werden. 

Weitere häufige Antigene, die eine NAIT verursachen können sind HPA-5b in der weißen Bevölkerung. In der asiatischen Bevölkerung ist dagegen das HPA-4 der häufigste Verursacher von NAIT.

Es wurde auch eine interessante Assoziation mit HLA beobachtet. HPA-1a negative Frauen, die auch HLA-DRB3*01:01 negativ sind, entwickeln nur selten Antikörper und auch wenn sie diese entwickeln, sind die Kinder nicht schwer betroffen.

Diagnose und Behandlung

Im Gegensatz zu MHN gibt es kein generelles Screening und auch keine Standardbehandlung bei der FNAIT. Beim MHN kann durch Ultraschallmessung der Flußgeschwindigkeit des Blutes in der A.cerebri media auf den Hb-Gehalt des kindlichen Blutes schließen.

Die am meisten gefürchtete Komplikation bei der FNAIT ist eine Intracraniale Blutung (ICH - inrtacranial hemorrhage) und das wird bei einer Routinekontrolle im Ultraschall entdeckt. Da ist es für eine prophylaktische Behandlung schon zu spät. Und auch die Behandlung ist nicht eindeutig festgelegt. Mit der Verabreichung von IVIg und Kortikosteroiden an die Mutter kann pränatal die Thrombozytopenie im ungefährlichen Bereich gehalten werden. Diese Behandlung ist zwar wirksam, aber mit Nebenwirkungen und teuer. Eine andere Möglichkeit, wäre eine Stufendiagnostik:

  1. HPA-1a bei der Mutter in der ersten Schwangerschaft
  2. beim Kindsvater von HPA-1a negativen Frauen molekularbiologisch HPA-1 bestimmen
  3. HPA-1a negative Frauen weiter auf DRB3*01:01 testen
  4. DRB3*01:01 positive Frauen in der 12, 24 und 36 SSW auf HPA-Antikörper testen

Da nur 1 von 10000 Neugeborener eine ICH entwickeln, gehört diese Komplikationen zu sehr seltenen Ereignissen und deshalb gibt es keine Empfehlung, ein Screening durchzuführen.

Eine relativ neue Erkentnis hat gezeigt, dass die Mütter der Feten, die eine ICH entwickeln, Antikörper gegen HPA-1a mit einem speziellen Subtyp alpha-v beta-3 aufweisen. Dieses Antigen wird auf dem Endothel der Hirngefäße exprimiert. Die Bindung des Antikörpers führt zur Apoptose und dadurch werden die Gefäße geschwächt, was schlußendlich zur Hirnblutung führt. Es gibt keinen Test, mit dem man die Antikörper-Subtypen differenzieren kann, daher fällt das als diagnostisches Mittel weg.

 

In Innsbruck werden Schwangere in drei Fällen zur Abklärung an uns überwiesen:

  • das Neugeborene hat einen Thrombozytenwert < 100000/µl und es gibt keine andere plausible Erklärung dafür
  • ein Ungeborenes hat eine ICH im Ultraschall
  • die Schwester der Schwangeren hatte eine NAIT in der Schwangerschaft

Wir testen die Mutter auf HPA-Antikörper und typisieren molekularbiologisch beide Eltern bei den HPA-Antigenen. Man kann auch das Kind typisieren, aber Blutabnahmen bei Neugeborenen will man soweit wie Möglich vermeiden. Der Nachweis von Antikörper und einer entsprechenden Konstellation zwischen den Eltern, zusammen mit der Thrombozytopenie ist für die Diagnose ausreichend. Die Typisierung des Vaters hat noch einen weiteren Vorteil. Man kann das Risiko für weitere Schwangerschaften besser abschätzen. 

Die Behandlung richtet sich nach den Thrombozytenwerten bzw. nach der Symptomatik. Da nach der Geburt kein weiter "Nachschub" der Antikörper erfolgt, kann in vielen Fällen einfach zugewartet werden, bis sie verschwinden und die Thrombozyten normal ansteigen. Sind die Werte zu niedrig, so dass eine ICH befürchtet werden muss, sollte das Kind Thrombozytenkonzentrate bekommen, die das betroffene Merkmal nicht aufweisen. Da es am häufigsten das HPA-1a ist, müsste man Thrombozyten eines HPA-1b/b Spender transfundieren. Nachdem aber nur 2% aller Europäer diese Konstellation aufweisen, können solche Thrombozyten nicht immer bereitgestellt werden. In einem solchen Fall sollte man HPA-1a/b, also heterozygote und blutgruppengleiche oder kompatible Thrombozyten einsetzen. In der Regel kommt es danach auch zu einem ausreichendem Anstieg. Hat das Kind lebensbedrohliche Blutungen, die nur durch die Gabe von antigenfreien Thrombozyten in den Griff zu bekommen sind, kann in Ausnahmefällen die Mutter als Spenderin hergenommen werden, falls sonst kein Spender verfügbar ist.

 

Auch pränatal können analog zu intrauterinen Erythrozytentransfusionen, auch Thrombozyten transfundiert werden. Diese Behandlung ist allerdings recht umstritten und mit Komplikationen verbunden. Besonders weil durch die Thrombozytopenie das Blutungsrisiko des Feten deutlich höher ist, als bei einer normalen intrauterinen Transfusion. 

 

Ca. 30 verschiedene Plättchenantigene können eine FNAIT verursachen. Kommerzielle Tests für Antikörperscreening und auch für die Antigenbestimmung decken nur die häufigsten Spezifitäten ab. Besteht also der Verdacht, dass eine FNAIT vorliegt obwohl alle Tests negativ sind, kann ein Kreuzversuch der väterlichen Thrombozyten mit dem mütterlichen Serum versucht werden. Eine Inkompatibilität, die ein "Private Antigen" betrifft, kann oft nur auf diese Weise bewiesen werden.

 

Ein Zusammenhang zwischen dem Antikörpertiter und der Schwere der Thrombozytopenie konnte bisher nicht gezeigt werden. Die uns zur Verfügung stehende Tests sind alle nur qualitativ.

 

Bezüglich FNAIT, die durch HLA-Antikörper verursacht wurde, gibt es in der Literatur widersprüchliche Aussagen. Zusammenfassend kann eine FNAIT durch HLA-Antikörper nicht 100%ig ausgeschlossen werden. Dagegen spricht allerdings die Häufigkeit der HLA-Antikörper und die übliche HLA-Inkompatibilität zwischen den Eltern, die praktisch bei jeder Schwangerschaft zu sehen ist. Wären HLA-Antikörper für FNAIT verantwortlich, müsste das Krankheitsbild viel häufiger auftreten. Aber vielleicht spielen noch weitere seltene Faktoren bei der Pathophysiologie eine Rolle. Treffen alle Voraussetzungen zu, kann wahrscheinlich auch durch HLA-Antikörper eine Thrombozytopenie beim Kind verursacht werden.

Referenzen:

  1. Kjeldsen-Kragh J, Bengtsson J. Fetal and Neonatal Alloimmune Thrombocytopenia—New Prospects for Fetal Risk Assessment of HPA-1a–Negative Pregnant Women. Transfus Med Rev. 2020;34(4):270–6.
  2. Kjeldsen-Kragh J, Ahlen MT. Foetal and neonatal alloimmune thrombocytopenia - The role of the HLA-DRB3*01:01 allele for HPA-1a-immunisation and foetal/neonatal outcome. Transfus Apher Sci. 2020;59(1):102707.
  3. Kjeldsen-Kragh J, Ni H, Skogen B. Towards a prophylactic treatment of HPA-related foetal and neonatal alloimmune thrombocytopenia. Curr Opin Hematol. 2012;19(6):469-474. 
  4. de Vos TW, Winkelhorst D, de Haas M, Lopriore E, Oepkes D. Epidemiology and management of fetal and neonatal alloimmune thrombocytopenia. Transfus Apher Sci. 2020;59(1):102704.

Zuletzt bearbeitet am 08.11.2023.